Am 10. Mai diesen Jahres ereignete sich eine ringförmige
Sonnenfinsternis, die auch von Deutschland aus - allerdings hier nur
partiell - beobachtet werden konnte.
Der Sichtbarkeitsstreifen der ringförmigen Phase der Finsternis
verlief über Baja California bis Neuengland über den gesamten
nordamerikanischen Kontinent, querte den Atlantik und endete
schließlich im
Hohen Atlas in
Marokko. Während die verfinsterte Sonne im US-Bundesstaat Ohio mit
65.7 Grad den höchsten Stand erreichte,
ging sie in Marokko vor Finsternisende unter
[1] .
Im Gegensatz zu einer totalen Finsternis ist eine ringförmige vor allem
unter ästhetischen Gesichtspunkten sehenswert;
da Korona, Chromosphäre
und Protuberanzen weitestgehend unsichtbar bleiben,
entfallen die wissenschaftlich
interessantesten Aspekte einer totalen Verfinsterung.
Besonders farbenprächtige ringförmige Sonnenfinsternisse ergeben
sich bei Sonnenaufgang und -untergang, zumal sie dann
ohne Zuhilfenahme von Filtern beobachtet werden können.
Wer schon einmal einen Sonnenuntergang von einem hohen Berg aus beobachtet
hat, der weiß, wie reizvoll dieser Anblick sein kann. Insbesondere
die Refraktion und die differentielle Extinktion der
Erdatmosphäre
können
zu grandiosen Schauspielen führen. Wir beschlossen daher einen Gipfel
im Hohen Atlas als Beobachtungsort zu wählen und damit die besondere
Gelegenheit zu nutzen, einen "`ringförmigen Sonnenuntergang"'
in Kombination mit
den optischen Effekten bei tiefem Sonnenstand zu beobachten.
Der
Dschebel Ayachi , mit 3747m
der höchste Berg im östlichen
Teil des Hohen Atlas, befand sich sowohl in der Nähe der Zentrallinie
als auch nahe des mathematischen Endpunktes
der zentralen Phase der Finsternis, so daß er für
unsere Absichten optimal geeignet war.
Schon die Anfahrt in das menschenleere Gebiet und die
mehrtägige Besteigung
des mit Schnee bedeckten Berges am Rande der Sahara war
eine Herausforderung. Etwa 30 km Entfernung und über 2000
Höhenmeter mußten wir mit Zelt, Proviant und
Fotoausrüstung überwinden,
wobei wir ein von der Zivilisation abgeschnittenes
Lehmhüttendorf am Fuße der Berge
passierten und Kamelkarawanen der Halbnomaden begegneten.
Nach der Besteigung des Gipfels am Mittag des 10. Mai erwarteten wir die
Finsternis auf dem Bergrücken des Nordostgrates des Dschebel Ayachi
in 3370 m Höhe und nur 1.4 km von der Zentrallinie entfernt
(4 Grad 52 Min 43 Sek West; 32 Grad 30 Min 25 Sek Nord).
Hier hatten wir einen besonders
geeigneten Beobachtungsort mit freiem Blick zum Horizont. Bis zum
Zeitpunkt des ersten Kontaktes waren noch einige Stunden Zeit.
Entgegen unserer Erwartungen zogen immer dichtere Regenwolken auf,
die auf die Stimmung drückten und schließlich die Sonne verdeckten.
Doch der befürchtete frühzeitige Abstieg blieb uns erspart:
das Wetter stabilisierte sich und kurz nach
dem Zeitpunkt des 2. Kontaktes tauchte die Sonne langsam unter der
Wolkenschicht hervor (18:58 UT)
und wir konnten die Finsternis bis
Sonnenuntergang
ungestört beobachten.
Etwa 1 Minute nach dem ersten Erscheinen der Sonne
sahen wir die Finsternismitte nur ca. 1 Grad über dem
mathematischen Horizont. Aufgrund des geringen Abstands
unseres Beobachtungsstandorts zur Zentrallinie erschien selbst bei
20-facher Vergrößerung der Optik der
Sonnenring absolut konzentrisch .
Durch unseren erhöhten Standpunkt sahen wir den
3. Kontakt
noch weit über dem wahren Horizont und bodennahem Dunst.
Etwa zwei Minuten später unterschritt die Sonne den mathematischen
Horizont;
der wirkliche Sonnenuntergang wird jedoch
durch die Refraktion in der Erdatmosphäre
verzögert.
Zur genauen Berechnung der Refraktion und damit der wahren Untergangszeit
müssen Temperatur, Druck und Luftfeuchtigkeit berücksichtigt werden.
Mit sinkender Temperatur und steigendem Druck, also mit einer
Erhöhung der
Luftdichte, steigt der Brechungsindex und damit die Refraktion.
In der Troposhäre sind die meteorologischen Bedingungen stark variabel
und praktisch nicht vorhersagbar. Auch die aufgrund verschiedener
Theorien ermittelten Refraktionswerte für Zenitdistanzen, die mehr
als 80 Grad betragen, sind recht unsicher und weichen merklich
voneinander ab [2].
Als Faustregel gilt, daß das Bild der Sonne am mathematischen
Horizont um wenig mehr als den eigenen Durchmesser angehoben wird
(ca. 36 Bogenminuten [3]). Scheint der untere Rand der Sonne erstmals den
Horizont zu berühren, so ist die Sonne geometrisch schon
vollständig untergegangen. Dieser Wert ist jedoch sehr grob und kann
bis zu 1.5 Grad betragen [2],[4].
Die Auswirkungen der Refraktion werden mit abnehmender
Sonnenhöhe immer extremer.
Die starke Zunahme der Refraktion in Horizontnähe zeigt sich auch
in der ovalen Form der untergehenden Sonne.
Von der Höhe des Berges konnten wir etwa 1.4 Grad auf
den geometrischen Horizont hinab sehen.
Als wir die Sonnensichel ganz im Dunst des Horizonts verschwinden
sahen
(19:15:30 UT) ,
waren schon über 12 Minuten seit dem mathematischen Sonnenuntergang
verstrichen. Dieses entspricht einer Refraktion von 1.3 Grad.
Durch die Inhomogenitäten im Refraktionsverlauf in der unteren
Atmosphäre wirkte die Sonne völlig verzerrt und der Rand des
Mondes erschien eher rechteckig als rund.
Überwältigt von dieser prächtigen Naturerscheinung
traten wir nun
in völliger Dunkelheit den mehrstündigen Abstieg zu unserem Zelt
an.
[1] Espenak F., Anderson J., Annular Solar Eclipse of 10 May 1994, NASA
Reference Publication 1301, 1993
[2] Pelzer N., Niemeier W., Precise Levelling, Bonn 1983
[3] Roth G. D., Handbuch für Sternfreunde, 3. Aufl. 1981, S. 604
[4] Kahmen H., Vermessungskunde Bd. I u. II, 17. Aufl. 1988
[5] Gehrcke, Handbuch der Physik, Optik, Bd. 2, S. 279, Leipzig 1927
[6] Lang K.R., Astrophysical Formulae, Springer Verlag 1974
[7] Zimmermann O., Astronomischisches Praktikum I, SuW Taschenbuch 8,
München 1983